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Titel
Italian Colonialism and Resistances to Empire, 1930-1970.


Autor(en)
Srivastava, Neelam
Erschienen
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
€ 93,26
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marica Tolomelli, Dipartimento di Storia, Culture, Civiltà, Bologna

Die Studie von Neelam Srivastava greift auf literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Ansätze zurück, um ein Kapitel der italienischen Kolonialgeschichte zu untersuchen. Konkret geht es um Kolonialbestrebungen im faschistischen Italien und um den nationalen und internationalen Widerstand dagegen. Ausgangspunkt ist Mussolinis Aggressionskrieg gegen Äthiopien zur Bildung eines im Mai 1936 proklamierten Impero. Srivastava unterstreicht richtigerweise die neue Qualität des ‚faschistischen Kolonialismus‘ und widmet sich zunächst der Frage, was diesen von anderen, früheren kolonialen Expansionsbestrebungen unterschied. Dies war zunächst der veränderte internationale Kontext, in dem der Krieg gegen Äthiopien stattfand. Denn Mitte der 1930er-Jahre war die Epoche des Scramble for Africa abgeschlossen und die kolonialen Großmächte hatten eine gewisse, stabile territoriale Ordnung erreicht. Darüber hinaus waren die Staaten durch den Völkerbund vernetzt. Und da Äthiopien ein Mitgliedsstaat des Völkerbunds war, erlangte die italienische Militäraktion unmittelbar den völkerrechtlichen Status eines typischen Aggressionskriegs. Ausschließlich die italienische Regierung und ihre propagandistischen Organe – u.a. La difesa della razza – vertraten und verbreiteten die Deutung, dass es sich um einen Kolonialkrieg handele (S. 108). Dadurch sollte der Krieg legitimiert werden, da sich Italien in dieser Lesart nur wie andere weiße, zivilisierende Nationen auch einen „Platz an der Sonne“ sichere.

Äthiopien war aber mehr als ein „Platz an der Sonne“: Es war nämlich der einzige – neben dem kleinen Liberia – unabhängig und souverän gebliebene Staat Afrikas. In den Augen kolonisierter Bevölkerungen und Menschen afrikanischer Herkunft kam Äthiopien daher eine enorme symbolische Bedeutung zu. Äthiopien war für sie der konkrete Beweis dafür, dass es für Afrikaner möglich war, sich dem Joch der weißen Großmächte zu entziehen. Äthiopien stellte das freie Afrika dar, eine Art panafrikanische ‚Nation‘, welche nun gegen die Ansprüche des faschistischen Italiens zu verteidigen war.

Die Frage, wie die Verteidigung Äthiopiens im nationalen und internationalen Kontext aussah, leitet die weitere Untersuchung. Zunächst arbeitet die Autorin die Bedeutung des antifaschistischen Kampfs in den Kapiteln II. und V. heraus. Besonders die aus dem Exil agierende italienische kommunistische Partei (KPI) engagierte sich in der Verteidigung Äthiopiens, wobei die Autorin es allerdings unterlässt, die Stellungnahmen anderer in die Illegalität gezwungener Oppositionsparteien zu betrachten. Für die KPI jedenfalls war eine dezidierte Reaktion unerlässlich, nachdem die Komintern die Unterstützung antikolonialer Befreiungskämpfe zu ihrem programmatischen Anliegen erklärt hatte (S. 24 ff.). Die Partei machte die Kampagne gegen den Äthiopien-Krieg zum Schwerpunkt einer umfassenderen antifaschistischen Politik, die letztendlich auf den Sturz des Faschismus überhaupt zielte, sei es in Italien oder in anderen Ländern. Vor allem nach den Erfahrungen im spanischen Bürgerkrieg schickte die KPI zudem eigene Aktivisten nach Abessinien, um einen bewaffneten Aufstand gegen die faschistischen Autoritäten vor Ort zu fördern.

Außerhalb Italiens mobilisierte die völkerrechtlich illegitime Kriegshandlung Mussolinis auch andere kommunistisch orientierte Aktivist/innen. Dies wird insbesondere am Beispiel der Britin Sylvia Pankhurst und ihrem politischen Umfeld untersucht (Kap. V). Liiert mit dem italienischen Anarchisten Silvio Corio, setzte sich Pankhurst mit außergewöhnlicher Energie für die Freiheit Äthiopiens ein. 1935 gründete sie die Zeitschrift The New Times and Ethiopian News die zwischen England, Spanien und Äthiopien zirkulierte und wöchentlich eine Auflage zwischen 10.000 und 40.000 Exemplaren erreichte (S. 170). Ihr Engagement wurde durch die direkten Kontakte zum italienischen kommunistischen Milieu beeinflusst – bereits in den 1920er-Jahren hatte sie für Gramscis L’ordine nuovo als Auslandskorrespondentin Artikel geschrieben. Aber auch die internationalen politischen Anspannungen nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Spanien trugen dazu bei, dass sie begann, Antikolonialismus, Antifaschismus und Antiimperialismus zusammenzudenken.

Eine weitere und folgenreiche Reaktion auf den italienischen Krieg sieht Srivastava in der Verstärkung panafrikanischer Aktivitäten im atlantischen Raum, insbesondere in Großbritannien (Kap. III). Ausschlaggebend war hierfür die zunehmende Enttäuschung einiger Kommunisten karibischer Herkunft – insbesondere George Padmores und C.L.R James‘ – gegenüber der Politik der Komintern. Bestehende Divergenzen im Hinblick auf die politische Selbstständigkeit farbiger Völker führten zu Padmores und James‘ erzwungener bzw. freiwilliger Distanzierung von der Komintern zugunsten einer ‚all-Africans‘ Organisation, die sich mit der Gründung des International African Friends of Abyssinia sowie des International African Service Bureau (später Pan-African Federation) tatsächlich realisierte (S. 77 ff.). Im Einklang mit anderen Studien zu diesem Zeitraum weist die Autorin dabei auf die Relevanz der imperialen Metropolen – London in diesem Fall – für die Entwicklung antikolonialer Diskurse hin.1

Darüber hinaus untersucht die Autorin Wahrnehmungen des Äthiopien-Krieges und Thematisierungen des Panafrikanismus im literarischen Bereich. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie dabei Autoren der sogenannten Harlem-Renaissance Ende der 1930er-Jahre: Schriftsteller und Journalisten wie George S. Schluyer und Claude McKay – Autor der 1941 verfassten, aber erst 2017 veröffentlichten Erzählung Amiable With Big Teeth: A Novel Concerning the Love Affair Between the Communists and the Black Sheep of Harlem. In ihren Texten reflektierten sie den Unmut farbiger Kommunisten über das rigide Beharren der Komintern darauf, die antikolonialen Kämpfe und den Widerstand gegen den Äthiopienkrieg als untergeordnete Aspekte des eigentlichen, revolutionären Kampfes – dem antikapitalistischen Klassenkampf – zu verstehen (S. 113 ff.).

In den letzten zwei Kapiteln kommt die Autorin auf Italien zurück, um zu analysieren, wie sich in der Nachkriegszeit antikoloniale Haltungen im internationalen Rahmen der Dekolonisation und von Dritte-Welt-Bewegungen entwickelten. Dabei hebt sie Faktoren hervor, welche eine schnelle Verdrängung der italienischen Kolonialgeschichte und die Deutung der neu auftretenden antikolonialen Kämpfe in Kontinuität mit dem antifaschistischen Befreiungskampf der letzten zwei Kriegsjahre ermöglichten. Diesen letzten Aspekt erörtert die Autorin im abschließenden VII. Kapitel, wo sie das Bestehen einer Resistance Aesthetics im Bereich von Kunst und Kultur herausarbeitet. Ihre Aufmerksamkeit richtet sie dabei auf drei Personen, die Erfahrungen im antifaschistischen Widerstandskampf teilten: die Filmemacher Gillo Pontecorvo (La battaglia di Algieri, 1966) und Valentino Orsini (I dannati della terra, 1969) sowie den politischen und kulturellen Aktivist Giovanni Pirelli, der Frantz Fanons Werke in Italien einführte und die italienische Öffentlichkeit zur Unterstützung des Algerienkriegs mobilisierte. Zusammen betrachtet beweisen diese drei Intellektuellen die leitende These der Autorin, nach welcher der Äthiopienkrieg prägend für die tiefgehende und langlebige Verzahnung von Antikolonialismus und Antifaschismus gewesen sei. In diesen Passagen bleibt der italienische historische Kontext der 1950er- und 1960er-Jahre allerdings allzu sehr unterbelichtet und der komplexe Übergang vom antifaschistischen Antikolonialismus zur internationalistischen Dritte-Welt-Empathie wird zu stark vereinfacht dargestellt. Dies hat sicherlich mit dem breiten zeitlichen und räumlichen Spektrum des Untersuchungsobjekts zu tun, scheint aber auch eine Folge des gewählten hybriden methodischen Ansatzes und der Verortung der Studie im Rahmen der Post-Colonial Studies. Der Balanceakt bei der Kombination von kulturellen und strukturell-historischen Analysen gelingt jedenfalls nicht immer. Inhaltlich ist die Studie aber bemerkenswert reich an sachlichen Informationen, inspirierenden Gedankenspielen und anregenden Betrachtungen, sodass sie sich als eine zu empfehlende Lektüre erweist.

Anmerkung:
1 Marc Matera, Black London. The Imperial Metropolis and Decolonization in the Twentieth Century, Oakland 2015; Michael Goebel, Anti-imperial Metropolis. Interwar Paris and the Seeds of Third World Interantionalism, Cambridge 2015.